Mitarbeitergewinnung in der Zeitungszustellung
Ist-Zustand:
Die Zahl der Zeitungszusteller/innen hat in den letzten Jahren stark abgenommen. Darüber hinaus ist die Verweildauer der Beschäftigten im Unternehmen immer kürzer. Dadurch entstehen den Verlagen große Probleme: sie suchen dringend neue Mitarbeiter/innen um ihre Zeitungsprodukte vertragsgemäß bis 6.00 Uhr zustellen zu können. Da sich im gleichen Zeitraum das Image der Zeitungszusteller/innen in der Öffentlichkeit erheblich verschlechtert hat, gelingt es immer weniger genügend Mitarbeiter/innen zu finden. Das hat Ursachen.
Gründe:
1. Im Jahre 2008 hat es einschneidende Veränderungen in der Bezahlung der Zusteller/innen gegeben:
- Streichung des Weihnachtsgeldes
- Streichung des Urlaubsgeldes
- Geringer Stücklohn für neu einzustellende Mitarbeiter
- Kürzung der Urlaubstage von 36 auf 30 Urlaubstage, neueinzustellende Mitarbeiter /innen erhalten nur noch 24 Urlaubstage
2. Bei Einführung des Mindestlohnes im Jahre 2015 wurde ein verminderter Mindestlohn für Zeitungszusteller/innen per Gesetz festgelegt. Der Bundesverband der Zeitungsverleger setzte den verminderten Mindestlohn, nach intensiver Lobbyarbeit, „zur Wahrung der Pressefreiheit“ durch. Erst seit dem 1. Januar 2018 erhalten Zeitungszusteller/innen den „normalen“ Mindestlohn.
3. Bei der Einführung des Mindestlohnes wurde der Nachtzuschlag von 25% auf 10% gekürzt.
4. Aktueller Streit um den Nachtzuschlag. Obwohl das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat, das Zeitungszustellern/innen ein Nachtzuschlag von 30% zusteht, ist der Arbeitgeber nicht gewillt diesen zu zahlen, sondern bleibt bei den 10%.
5. Bereitstellung von minderwertiger Arbeitskleidung (Regenjacken, Handschuhe) oder gar keiner Arbeitskleidung (Schuhe).
6. Bereitstellung des eigenen PKW`s zur Ausübung der täglichen Arbeit. Es werden für diese Aufwendung nur die steuerlich absetzbaren 0,30€ je gefahrenen km vergütet. Bei den mittlerweile sehr hohen Benzinpreisen und keinerlei Beteiligung des Arbeitgebers an Instandhaltungs- und Unfallkosten ist das für die Zusteller/innen ein Minusgeschäft. Hier muss Geld mitgebracht werden um arbeiten zu können.
7. Sehr häufig eine geringe Wertschätzung des Arbeitgebers gegenüber den Zustellern/innen. Hierfür einige Beispiele:
- Keine oder nur unzureichende Informationen bei verspäteter Anlieferung der Zeitungen an den Ablagestellen,
- Hoher Druck bei der Bemessung der Arbeitszeiten für die Zeitungstouren, obwohl es hier keine Betriebsvereinbarung gibt.
- Häufig Ärger bei der Urlaubsplanung, ausgelöst durch den zu geringen Mitarbeiterbestand und einer fehlenden Urlaubsplanung durch die Vertriebsinspektoren,
- Häufig nicht korrekte Gehaltsabrechnungen, die für den Zusteller/in immer undurchsichtiger werden,
- Bei längerer Krankheit oder Abwesenheit durch einen Arbeitsunfall gibt es keinen Kontakt zum/r Mitarbeiter/in durch den Arbeitgeber. Hier kommt der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nicht nach,
- Auch in anderen Fällen, wie z.B. bei Überfällen , nicht geräumten Zufahrtswegen oder Stolperfallen auf zu beliefernden Grundstücken vernachlässigt der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht,
- Ausüben von Druck bei der Umstellung von „normalen Zustellbezirken“ in „Hybridbezirke“ (in den Hybridbezirken wird neben der Tageszeitung auch Post in Form vom Briefen, Katalogen etc. verteilt), obwohl es auch hier keine Betriebsvereinbarung gibt,
- Umstrukturierungen innerhalb der für die Zusteller/innen zuständigen Abteilungen werden entweder gar nicht oder verspätet kommuniziert.
Dies alles verschlechtert natürlich auch das Arbeitsklima. Durch die Mitarbeiter/innen wir das aber auch über ihre Familien und dem Freundeskreis nach außen getragen, und so verbreitet sich ein negatives Image sehr schnell.
Wenn dann noch andere Anbieter von Arbeitsplätzen die gleiche Zielgruppe bewerben ist der Erfolg in der Mitarbeitergewinnung sehr gering.
Während man noch Anfang der 2000er Jahre guten Gewissens Familienmitglieder, Freunde und Bekannte überzeugen konnte sich als Zeitungszusteller/in zu bewerben, ist dies heute nicht mehr der Fall. Da nützen auch keine Prämienzahlungen an die Mitarbeiter.
Maßnahmen:
Um vernünftige und zuverlässige Mitarbeiter/innen in der Zustellung zu gewinnen muss auch ein entsprechendes Gehalt gezahlt werden. Zum Mindestlohn werden andere Tätigkeiten auf dem Markt angeboten, die es nicht notwendig machen jede Nacht bei Wind und Wetter draußen zu sein.
Deshalb sehe ich folgende Bezahlung beim derzeitigen Mindestlohn von 8,84€ als gerechtfertigt an:
Einen Stundenlohn jenseits der 10,--€ für normale Zeitungsbezirke und jenseits der 12,--€ für Hybridbezirke.
Eine sofortige Anhebung des Nachtzuschlages auf 30%.
Weitere Maßnahmen sind ebenfalls umzusetzen:
Wiedereinführung von Weihnachts- und Urlaubsgeld. Hier ist sicherlich die Höhe verhandelbar bzw. Einführung in Stufen auf die nächsten Jahre möglich.
Erhöhung des Jahresurlaubes auf 6 Wochen bzw. 36 Arbeitstage
Zurverfügungstellung von „geeignetem“ Arbeitsmaterial und Arbeitskleidung
Wichtig hierbei ist auch die Gleichbehandlung von allen Mitarbeitern. Neu einzustellende Mitarbeiter müssen die gleichen Standards (die übrigens in den meisten Unternehmen in Deutschland auch Standard sind) erhalten wie Mitarbeiter die schon länger im Betrieb tätig sind. Nur so kann man zu einem ausgewogenen Arbeitsklima kommen.
Erst dann und nur dann würden gezielte Werbemaßnahmen wieder greifen und hier steht die gesamte Bandbreite zur Verfügung,
Werbeanzeigen in der Tages- und Wochenpresse
Internet
Hauswurfsendungen
Prämienauslobungen
Jetzt würden auch die Mitarbeiter wieder hinter ihrer Firma stehen und ein positives Image nach außen tragen und alle Werbemaßnahmen unterstützen.
Fazit:
Nur wer es in Zukunft schafft motivierte und qualifizierte Mitarbeiter durch entsprechende Maßnahmen an sich zu binden wird auf dem Zeitungsmarkt im Printbereich in der Verteilung Erfolg haben.
Für den ver.di-Arbeitskreis der Zeitungszustellung
Curd Bonten