Den „Zusteller“ gibt es gar nicht
Der Betriebsrat wünscht sich mehr Austausch mit unseren Trägern
Wenn man als Betriebsrat Beschäftigte berät oder vertritt, dann ist die Ausgangsposition der Fakten innerhalb einer Arbeitsgruppe oft sehr ähnlich. Die Bedingungen der KollegInnen am Arbeitsplatz und ihre Ausbildung sind vergleichbar, Unterschiede bestehen oft nur in Fragen der Entlohnung und der Arbeitszeit. Und bei ZustellerInnen? Natürlich gibt es auch hier viel Vergleichbares, aber die Unterschiede sind sehr viel größer als bei einer Arbeitsgruppe im Büro. Grundsätzlich sind ja alle Menschen verschieden, gemeinsam ist hoffentlich allen, dass jede/r seine Arbeit so gut wie möglich machen möchte. Es geht nicht um die Qualität der Arbeit, sondern um die Grundvoraussetzungen der Beschäftigten – in unserem Falle derer in der Zustellung.
ALLE MÜSSEN VERSTEHEN
Kaum irgendwo finden sich unterschiedlichere Kollegen. Da gibt es welche mit Hochschulabschluss und welche, die gar keinen Schulabschluss haben. Das muss kein Problem sein, aber wenn der Betriebsrat ein wichtiges Schreiben an Zusteller schickt, dann muss man so schreiben, dass es alle verstehen. Das ist immer dann schwierig, wenn es um Auslegungen von z. B. Gesetzestexten geht. Wie erreichen wir, dass es für alle verständlich ist? Unterschiede gibt es auch in der Bezahlung von Zustellerinnen und Zustellern. Wir haben noch den Stücklohn, und für diejenigen, deren Aufwand größer ist, den Mindestlohnausgleich. Dies ist oft schwierig zu verstehen, da unser Lohnzettel ja für die allermeisten ein Buch mit sieben Siegeln ist. Dazu kommt noch: ist die Zustellung die Erst- oder Zweitbeschäftigung? Wer sein Haupteinkommen durch das Zustellen hat, für den spielen andere Dinge eine Rolle als für den, der sich etwas hinzuverdient. Wir haben Zusteller, die annähernd Vollzeit arbeiten und auch so verdienen und wir haben welche, die unter 115 € im Monat für eine halbe Stunde täglich bekommen. Und für viele ist die Geringfügigkeitsgrenze ganz wichtig. Den Satz: „Ich darf aber nicht mehr als 450 € verdienen“, hört der Betriebsrat oft. Er stimmt allerdings so nicht mehr ganz. Es gibt inzwischen vor allem im Falle der vorzeitigen Rente großzügigere Regelungen (Steuerrecht beachten), der Totalverlust der Rente ist eher nicht mehr wahrscheinlich, aber die steil ansteigende Besteuerung eines Nebenverdienstes ist auch nicht gerade schön. Auch bezüglich des ALG II gibt es oft Unkenntnis und Unsicherheiten. Auch hier bestehen unter den Kolleginnen und Kollegen Zustellern oft gravierende Unterschiede. Wo und wie können sich Beschäftigte in der Zustellung also informieren? Die einzigen Ansprechpartner sind die Vertriebsbeauftragten und die sitzen in den Geschäftsstellen. Das Intranet der BNN steht Zustellern nicht zur Verfügung. Der Arbeitsplatz ist kein Raum, in dem man sich jederzeit mit Kollegen austauschen kann. Der Aufwand für Zusteller ist dafür unvergleichlich größer.
INFOBÖRSE ABLAGESTELLE
Erfreulicherweise treffen sich ZustellerInnen aber gar nicht so selten an den Ablagestellen und tauschen sich dort aus. Dies ist gut und hilfreich, allerdings erlebt es der Betriebsrat auch häufig, dass dabei Halbwahrheiten und Gerüchte verbreitet werden, die nicht stimmen und darüber hinaus noch schlechte Stimmung produzieren. Solche Gerüchteküchen gibt es natürlich auch im Büro, jedoch ist es hier oft besser und schneller möglich, die Wahrheit zu ermitteln und dagegen zu halten. Wir als Betriebsrat wollen all dies nicht beklagen, sondern versuchen, das Beste daraus zu machen. Dazu sind wir auf euch, Kolleginnen und Kollegen Zusteller, angewiesen. Wir brauchen den Kontakt zu euch. Und wir wollen euch auffordern, häufiger den Kontakt zu uns zu suchen. Vielleicht gibt es ja unter euch jemanden, der ein besonderes Spezialarbeitsverhältnis hat, eines, das sich keiner bei uns vorstellen kann, weil man noch nie voneinander gehört hat. Der Betriebsrat nimmt zu Zustellerinnen und Zustellern meist erst Kontakt auf, wenn bei ihm eine Beschwerde, eine Abmahnung oder Schlimmeres aufschlägt. Natürlich versuchen wir dann, die Mitarbeiter zu unterstützen, Gespräche zu führen, zu beraten mit dem Ziel, den Arbeitsplatz zu erhalten und die Situation zu verbessern. Das gelingt nicht immer, aber sehr oft. Oft ist der Betriebsrat eine Art „Übersetzer“ oder „Anwalt“, da bisweilen Zusteller und die Vertriebsbeauftragten nicht immer die gleiche Sprache sprechen. Kommen dann noch Emotionen ins Spiel ist es vielleicht gut, dass noch jemand anderes vermittelnd eingreift, bevor es zu größeren Problemen kommt. Also: meldet euch auch beim Betriebsrat, bei Problemen ohnehin, aber auch bei besonderen Konstellationen eures Arbeitsverhältnisses oder bei allen anderen Fragen, die ihr habt. Schneller und unkomplizierter wird euch nirgends sonst geholfen.
Harry Linhart