Arbeitsbedingungen und Löhne

    Wildwest bei Zeitungszustellern

    Wildwest bei Zeitungszustellern

    Das schätzen wir, die wir Zeitungen abonniert haben: Zustellerinnen und Zusteller stecken zuverlässig zu nachtschlafender Zeit aktuellen Lesestoff in unsere Briefkästen. Sie arbeiten hart bei Wind und Wetter und unter Zeitdruck, gehören aber beileibe nicht zu den Großverdienern. Selbst die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde 2015 brachte nicht die erhoffte Besserung, erhielten sie doch davon nur 75 Prozent.
    Ab 1. Januar 2016 waren es 85 Prozent und ein Jahr später 8,50 Euro. Grund für diese Verzögerung war eine Ausnahmeregelung im Mindestlohngesetz für die Zeitungsbranche. Erst seit 1. Januar 2018 gilt hier der reguläre Mindestlohn von 8,84 Euro und seit diesem Jahr von 9,19 Euro. Die Zustellbranche jedoch – in Berlin in Gestalt der Berlin Last Mile GmbH, der ehemaligen Vertriebsgesellschaft GmbH mit ihren Tochtergesellschaften – versucht, diese Erhöhung offenbar zu umgehen.
    Und so soll ausgehebelt werden:
    Nach Auskunft von Beschäftigten der Tochtergesellschaften ZARU, ZASCH, ZAWI u. a. wurde vor Einführung des Mindestlohnes durch GPS-Zeiterfassung die Dauer einer jeweiligen Zustelltour gemessen.
    Diese Erfassung diente gewissermaßen als Basis für die Berechnung des Mindestlohns. Unlängst informierten Zustellerinnen und Zusteller, dass die Berlin Last Mile GmbH behauptet, eine externe Firma habe inzwischen neue und – wen wundert’s – zum Teil erheblich kürzere Zustellzeiten ermittelt als die GPS-Zeiten zuvor. Deshalb ließ »Last Mile« kurz vor Weihnachten – und damit wenige Tage vor Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns sowie der laut Urteil des Bundesarbeitsgerichtes erforderlichen erforderlichen Anhebung des Nachtzuschlages auf 30 Prozent – ihre Zustellerinnen und Zusteller im Personalbüro antreten.
    Grund:  
    Man sollte neue Arbeitsverträge mit den angeblich neu ermittelten Zustellzeiten unterschreiben.
    Das bedeutet für die Einzelnen eine nicht unerhebliche Gehaltsabsenkung – selbst bei erhöhtem Mindestlohn von 9,19 Euro und gerichtlich verordneter Nachtzuschlagserhöhung.
    ver.di fragte nach:
    Eine Führungskraft bei der »Last Mile« Tochtergesellschaft ZARU erklärte, dass die Angaben der Beschäftigten so nicht stimmen würden.
    Diese wiederum blieben ausdrücklich bei ihrer Darstellung.
    Was steckt dahinter? Mit der Reduzierung der Zustellzeiten ist wohl beabsichtigt, die neuen Mindestlöhne und Nachtzuschläge zu »kompensieren«, besser gesagt: sie zu umgehen.
    Die Beschäftigten bestätigten, dass massiv Druck ausgeübt wurde. So wurde die bisher übliche »Winter-Prämie« fürs Durcharbeiten in den Wintermonaten ohne krankheitsbedingten Ausfall nur denjenigen gezahlt, die zuvor einen neuen Arbeitsvertrag mit den reduzierten Zustellzeiten unterschrieben hatten. Das wiederum verstößt gegen das Maßregelungsverbot.
    Den Mindestlohn so unverfroren zu unterlaufen, ist ein Skandal. »Last Mile« macht offensichtlich auf Wildwest. Beschäftigte – kaum einer ist hier gewerkschaftlich organisiert, viele sind auch der deutschen Sprache nicht mächtig – werden auf üble Weise über den Tisch gezogen.
    Zu hoffen ist, dass sich Zeitungszustellerinnen und Zusteller in ver.di organisieren und sich mit Hilfe der Gewerkschaft zur Wehr setzen.
    "Auf ein Wort" von Alfons Paus, ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg