Mindestlohn

    Zusteller enttäuscht

    Zusteller enttäuscht

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    Unter Zeitungsboten ist die Empörung groß: Während Millionen Beschäftigte ab nächstem Jahr mindestens 8,50 Euro pro Stunde verdienen, werden Zusteller beim gesetzlichen Mindestlohn diskriminiert: 2015 können sie mit 6,38 Euro, 2016 mit 7,23 Euro pro Stunde abgespeist werden. Erst ab 2017 soll der volle Mindestlohn auch für sie gelten. »Völlig aberwitzig« nennt der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske diese Sonderbehandlung, die auch kurzfristig gesammelte 18.000 Protestunterschriften nicht verhindern konnten.

    Fehlende Wertschätzung

    »Ich bin sehr enttäuscht von der Regierung«, sagt Lilly Brod, die in Stephanskirchen bei Rosenheim das Oberbayerische Volksblatt und andere Zeitungen austrägt. »Die Verleger sind mit die reichsten Menschen des Landes. Und die von ihnen durchgesetzten Ausnahmen treffen die Schwächsten.« Auch für Olaf Rausch aus Bremerhaven drückt die Entscheidung des Bundestags eine fehlende Wertschätzung für die harte Arbeit von Zeitungsboten aus. In den vergangenen vier Jahren sei die Zahl der Zusteller bei der Nordseezeitung von etwa 360 auf 305 gesunken - auch wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und der niedrigen Entlohnung. »Nach dieser Entscheidung werden sich sicher noch einige mehr einen anderen Job suchen«, vermutet Rausch. Er schätzt, dass vier von fünf seiner Kollegen weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen. »Das geht bis unter vier Euro. Gerade solchen Beschäftigten sollte der Mindestlohn eigentlich helfen.«

    Eine gesetzliche Untergrenze gegen Lohndumping und Ausbeutung sei angesichts von mehr als fünf Millionen Niedriglöhnern mit weniger als 8,50 Euro pro Stunde längst überfällig, kommentiert Bsirske den Bundestagsbeschluss. Nicht akzeptabel sei jedoch, dass der Mindestlohn zwei bis zweieinhalb Millionen Menschen zunächst vorenthalten bleibt - darunter Minderjährigen, Langzeitarbeitslosen, Saisonarbeitern und eben Zeitungsboten. »Die Zeitungsverleger haben eine tarifliche Übergangslösung kategorisch abgelehnt und werden jetzt aus fadenscheinigen Gründen mit einem Mindestlohn-Abschlag belohnt«, kritisiert Bsirske.
    Völlig unangemessen nennt auch ver.di-Tarifexperte Andreas Fröhlich diese Regelung. Offiziell solle das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie beitragen, doch die Sonderbehandlung der Verlage bedeute das Gegenteil. »Wir werden weiter Druck machen, um die Diskriminierung von Zustellern zu beenden«, kündigt Fröhlich an. »Und in den Betrieben geht es jetzt darum sicherzustellen, dass wenigstens der beschlossene Mindestlohn auch tatsächlich gezahlt wird.«

    Betriebsräte wählen

    Den Beschäftigten empfiehlt der Gewerkschafter, überall Betriebsräte zu wählen. »Um zu verhindern, dass der Arbeitgeber per Direktionsrecht festlegt, was alles in den Mindestlohn hinein gerechnet wird, braucht es gute Interessenvertreter.« Das meint auch Renate Hartrampf, die als Zustellerin und Betriebsrätin bei der Firma Certum in Krefeld tätig ist. Sie befürchtet, dass die Unternehmen viele Tätigkeiten, die bisher gesondert vergütet werden, in den Mindestlohn einbeziehen wollen. »Wir werden um jeden Cent kämpfen, und hoffen, dass andere das auch tun«, sagt die Gewerkschafterin. »Wir Zusteller müssen uns viel stärker zusammenschließen, damit wir etwas durch setzen können.«

    DANIEL BEHRÜZI

    Aus: Druck + Papier Augst 2014