„Rechte und Aufgaben des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung bei der Gestaltung der Arbeitsverträge und der Geltendmachung von Arbeitnehmerrechten im Betrieb“

    Seminar in Walsrode vom 11.-16.06.2023

    Betriebsratsmitglieder und Mitglieder von Schwerbehindertenvertretungen aus Betrieben und Betriebsteilen der Zeitungszustellung trafen sich zum ersten Seminar in 2023 im ver.di Bildungszentrum Walsrode.

    Entwicklung im Zeitungsbereich

    Der für die Zusteller*innen bei ver.di zuständige Gewerkschaftssekretär Jan Schulze-Husmann aus Berlin, berichtete, dass sich die Meldungen von Schließungen bzw. Zusammenlegung von Zeitungsdruckereien häufen. Teilweise werden die Druckereien innerhalb eines Konzerns zusammengelegt. Beispielhaft dafür ist die neue Druckerei in Esslingen wo künftig eine neue Druckerei die zwei bisherigen Standorte Stuttgart und Esslingen ersetzt.
    In der Regel wird den Beschäftigten der aufzugebenden Druckerei ein Arbeitsplatz in der neuen Druckerei angeboten, aber zu schlechteren Bedingungen.
    Andernorts werden teilweise Druckaufträge der eigenen Druckerei entzogen und an konzernfremde Druckereien vergeben. Dies führt zu Entlassungen bei den eigenen Druckereien.
    All diese Vorgänge führen auch zu Produktverschlechterungen, da aufgrund längerer Fahrtwege der Redaktionsschluss vorverlegt werden muss. Die gewohnte Aktualität ist dadurch nicht mehr gegeben.

    Berichte aus den Betrieben

    Wie immer wurden ausführliche Berichte aus den Betrieben geliefert und diskutiert. Schwerpunkte des Austauschs zu aktuellen Entwicklungen waren
    - Nachtzuschläge
    - Kilometergeld
    - Inflationsausgleich bzw. dessen Verweigerung
    - Leistungen für die Briefzustellung
    Von besonderer Bedeutung waren Berichte über die vollständige oder teilweise Einstellung der Herausgabe und Zustellung von Wochenblättern sowie über den Einsatz sogannter Kolonnen, die gruppenweise unter Anleitung eines Subunternehmens oder auch in Arbeitsverhältnissen in der Zeitungszustellung eingesetzt werden.

    Branchendaten

    Josef berichtete, dass in den vergangenen 10 Jahren die Auflagen gedruckter Erzeugnisse massive Auflagenrückgänge hatten.
    Beispielhaft führt er für das 1. Quartal 2013 / 1.Quartal 2023 folgende Zahlen an:
    - Tageszeitungen: 20,4 Mio. / 12 Mio.
    - Publikumszeitungen 105 Mio. / 51 Mio.
    - Fachzeitschriften: 12 Mio. / 7,5 Mio.
    - Kundenzeitschriften: 40,5 Mio. / 19,8 Mio.

    Bei Tageszeitungen ist im letzten Jahr der Absatz deutlich zurückgegangen (alleine vom 1. Quartal 2022 zum 1. Quartal 2023 um 1.415.000 verkaufte Zeitungen)
    Der Umsatz blieb infolge von Abo Preiserhöhungen relativ stabil. Seit Herbst 2021 ist der Materialaufwand – insbesondere Papier und Energie – um ca. 70% gestiegen.
    Der Umsatz/Beschäftigen und die Lohnsumme/Beschäftigtem sind in etwa auf demselben Niveau geblieben. Das heißt, Lohnsteigerungen konnten durch mehr Umsatz ausgeglichen werden.
    Auffallend sind die teilweise sehr hohen Rückgänge der Abozahlen und insbesondere der Druckauflagen der Zeitungen. Weiter gestiegen sind die Auflagen bei den ePaper. Neben den allgemeinen Infos gab es einen genauen Blick auf Auflagen, Abos, ePaper und Druckauflagen sehr vieler Zeitungen in allen Bundesländern.

    Arbeitsrecht mit der Arbeitsrechtlerin Gerda Reichel

    Gerda hatte als arbeitsrechtliches Thema die Gestaltung von Arbeitsverträgen und die Rechtsgrundlagen dazu. Besondere aktuelle Anforderungen bestehen auf folgenden Gebieten:
    Nachweisgesetz
    Dieses Gesetz wurde aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschaffen und dient vorwiegend Arbeitnehmern, für die kein Tarifvertrag gilt.
    Es kann in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen auf das Nachweisgesetz verwiesen werden.
    Der Betriebsrat kann nach §80 Abs.1 BetrVG sein Informationsrecht geltend machen und prüfen, ob der Arbeitgeber die Regelungen des NachwG einhält.
    Daraus ergibt sich zwar kein Anspruch auf die Herausgabe von Arbeitsverträgen. Aber es können Formularverträge in Hinsicht auf Vereinbarkeit mit dem NachwG geprüft werden.
    Das NachwG gerichtlich durchsetzen können nur die Arbeitnehmenden selbst.
    Zeiterfassung
    Der Arbeitgeber ist nach §3 Abs 2 Nr.1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit welchem Beginn, Ende und Dauer der von den Arbeitnehmern geleisteten Arbeitszeit erfasst werden kann. (BAG vom 13.09.22 1ABR 22/21)
    Die Erfassungsmethode ist derzeit noch nicht geregelt, doch muss sich die Erfassung auf die gesamte Arbeitszeit und nicht nur auf Mehrarbeit oder den Unterschied zwischen Soll- und Ist-Arbeitszeit beziehen.

    Arbeitsmittel

    Seit dem „Lieferando“-Urteil des BAG ist klargestellt, dass der Arbeitgeber Arbeitsmittel zur Verfügung stellen muss. In der Praxis ist das oft nicht gegeben.
    Arbeitnehmerhaftung
    Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer.
    Bei Fahrlässigkeit kann der Schaden zwischen AN und AG geteilt werden.
    Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Arbeitgeber alleine.

    Urlaub

    Mitbestimmung des BR nach §87 Abs 1 Nr.5 BetrVG
    Gesetzlicher Urlaubsanspruch beträgt 4 Wochen, durch vertragliche oder tarifvertragliche Regelungen kann er höher liegen. Schwerbehinderte mit SBG >50% haben eine zusätzliche Woche nach SGB IX.
    Gesetzlicher und vertraglicher Urlaubsanspruch kann verschieden behandelt werden, wenn es darum geht, wann er verfällt.
    Nicht beantragter Urlaub verfällt am Ende des Jahres (31.12.)
    Beantragter, aber betriebsbedingt abgelehnter Urlaub verfällt am 31.03. des Folgejahres.
    Urlaub, der aufgrund einer Langzeiterkrankung nicht genommen werden konnte, verfällt 15 Monate nach Entstehung des Anspruches (Urlaub aus 2022 verfällt 31.03.2024)

    Teamfindung (Josef)

    Der Betriebsrat ist ein Gremium, in welchem alle für das Gelingen einer effektiven Arbeit verantwortlich sind.
    Deshalb ist es wichtig,
    ärgerliches / zu klärendes offen anzusprechen und auch
    selbst konstruktiv mitzuarbeiten
    Josef stellte daher Phasen und Modelle vor, an denen sich die Verbesserung der Kommunikation und die Konfliktbearbeitung im Gremium orientieren kann. Es ging unter anderem um das Wahrnehmungsmännchen, das Vier Ohren Modell nach Paul Watzlawick und das Eisbergmodell. So wurde deutlich, dass man an der Kommunikation miteinander arbeiten muss, damit ein Team funktioniert.
    Neuerungen und Informationen im sozialrechtlichen Bereich (Harry)
    Es gab im laufenden Jahr und auch zum 1.7.2023 wesentliche Änderungen im Sozialbereich, sowie in den Sozialversicherungen
    - Zuverdienstgrenzen im Bürgergeld erhöht
    - Neue Regeln für Vermögen
    - Neue Zuverdienstgrenzen bei den Renten
    - Neue Minijobregelungen
    - Neues bei Wohngeld, Kindergeldzuschlag
    - Informationen zu Schwerbehinderung

    Es gab dann zu den verschiedenen Themen auch Linklisten für weitere Informationen.
    Darüber hinaus wurden auch Links zu Newslettern mitgeteilt.
    Als zusätzliche Informationen wurden noch Nachschlagpublikationen für besondere Bereiche gegeben. Hier ging es vor allem darum, dass man immer wieder auch Fachbegriffe stößt, die für den Laien unverständlich sind, Hier bieten z. B. die Rentenversicherung oder soziale Organisationen oft Informationen, die auch für den Nicht-Fachmann verständlich und umsetzbar sind.

    Martin

    ver.di Kampagnen